Allerweltsrepertoire ist seine Sache nicht. Tatsächlich wagt sich Simon Höfele regelmäßig in Sphären, die musikalischen Expeditionsgeist, gepaart mit virtuoser Hochleistungsfitness und der Bereitschaft für emotionale Grenzerfahrungen, einfordern. Dies gilt ganz besonders für die zeitgenössische Musikproduktion, der sich der ehemalige Reinhold-Friedrich-Schüler bereits auf seinen ersten beiden Studioproduktionen „Concertino“ (2017) und „Mysteries“ (2018) exklusiv widmete. Die Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik bescheinigte ihm daraufhin ein „besonderes Gespür fürs Zeitgenössische“. Und dafür gibt es nun mal keine Routinen, keine Selbstverständlichkeiten, kein „Mal eben so“: Es braucht einen authentischen Künstler, der sich diesen Partituren hingibt, in sie eintaucht bis an die Grenzen des physisch und psychisch Möglichen. Und das hat Simon Höfele auf seinem neuen Album „Nobody Knows“ mit der Kombination dreier Werke von Christian Jost, Toshio Hosokawa und Bernd Alois Zimmermann sehr wörtlich genommen: „Für mich sind diese drei Werke wahnsinnig wichtig. Alle drei habe ich vorher schon gespielt und war immer fasziniert von ihrer Dunkelheit. Es ist sehr schwere, fast depressive Musik, und das in doppelter Hinsicht: Einerseits sind sie von der Stimmung her heftig, andererseits aber auch nicht leicht zu spielen.“ Dafür steht der Vollblutmusiker, der mittlerweile selbst am Royal Birmingham Conservatoire unterrichtet, hier das BBC Symphony Orchestra unter Geoffrey Paterson bzw. Ilan Volkov zur Seite. Als CD-Opener fungiert das rund 25-minütige Trompetenkonzert „Pietà (In Memoriam Chet Baker)“ von Christian Jost aus dem Jahre 2004, das (als selbstständiges Werk) auch den Anfang von dessen Requiem-Trilogie und darin den „intimsten Teil des Zyklus“, so der Komponist, bildet. Dabei handelt essich explizit nicht um ein Jazzstück, auch „wenn sich die Trompete mit Baker’scher Wandlungsfähigkeit und Eleganz immer wieder auf jazziges Terrain begibt. Bakers schmerzvolle Biografie und sein Einzelschicksal spiegeln sich hier in einem lyrischen Adagio wider.“ Für Höfele schlägt das Werk mit seinen großen Phrasen die Brücke zum folgenden Hosokawa-Track: „In ‚Pietà‘ hat man unglaublich viel zu verarbeiten, gleichzeitig ist es wunderschön – ich finde, es hat eines der schönsten Enden überhaupt. Die Melodie erinnert an den Broadway-Klassiker ‚My funny Valentine‘ … Und ja, es wird auch gestorben, da gibt es kein Happy End.“ Toshio Hosokawas „Im Nebel“, 2014 mit dem Otaka Award ausgezeichnet, ist durch das gleichnamige Hermann-Hesse-Gedicht inspiriert und für Höfele „von der allerersten Sekunde an fast ein First-Person-Videogame: Man steht mitten im Nebel mit der Taschenlampe und weiß nicht, was als Nächstes passiert. Wie groß ist dieser Nebel? Wo bin ich gerade, hört das irgendwann wieder auf? Man fühlt sich wahnsinnig klein.“ Hosokawa selbst beschreibt sein dreiteiliges Werk folgendermaßen: „Der Trompeter durchstreift einsam die blinde, unermessliche Natur; während er sein Lied singt, bewahrt er die Erinnerungen an die ruhmreiche Vergangenheit und an die Gewalt des Sturms. Das Orchester zeichnet weiche Linien, ähnlich denen östlicher Kalligrafie. Die Solotrompete verschmilzt mit der Sphäre des Geheimnisvollen; sie stellt sich der Welt und versöhnt sich zugleich mit ihr.“ Das dritte und titelgebende Werk der CD-Novität bildet Bernd Alois Zimmermanns „Nobody Knows de Trouble I See“ – für Höfele „das beste Konzert, das wir als Trompeter*innen haben“. Zumal es auch eine klare politische Botschaft transportiert: „Die Grundidee dahinter ist es, dem Leiden der Schwarzen Bevölkerung Amerikas Ausdruck zu verleihen, der Trauer, der Anklage, die mit der Versklavung, Ausbeutung und Ermordung so vieler Menschen verbunden ist.“ Bei diesem 1955 uraufgeführten Werk hat der Kölner Komponist drei Formstrukturen in einzigartiger Weise kombiniert: neben dem Spiritual in Gestalt eines modernen Cantus firmus eine Zwölftonreihe sowie Elemente des Jazz. „Wir wissen nicht, wie ‚woke‘ Zimmermann im heutigen Sinne war“, sagt Höfele, „aber er hat mit diesem Stück nicht nur den Zahn seiner Zeit getroffen, sondern ja auch den der unsrigen heute.“ Es ist ein musikalischer Kosmos von Tragik, Verlorensein und Klage, dem Simon Höfele in seiner unmittelbaren Relevanz für unsere Zeit auf der neuen CD eine (Trompeten-)Stimme gibt. Eintauchen lohnt sich!
Nobody Knows Simon Höfele & BBC Symphony Orchestra
Komponisten
Bernd Alois Zimmermann
Christian Jost
Toshio Hosokawa
Weitere Informationen
Genre
Klassik
Trompete
Erscheinungsdatum
05.05.2023
Allerweltsrepertoire ist seine Sache nicht. Tatsächlich wagt sich Simon Höfele regelmäßig in Sphären, die musikalischen Expeditionsgeist, gepaart mit virtuoser Hochleistungsfitness und der Bereitschaft für emotionale Grenzerfahrungen, einfordern. Dies gilt ganz besonders für die zeitgenössische Musikproduktion, der sich der ehemalige Reinhold-Friedrich-Schüler bereits auf seinen ersten beiden Studioproduktionen „Concertino“ (2017) und „Mysteries“ (2018) exklusiv widmete. Die Jury des Preises der Deutschen Schallplattenkritik bescheinigte ihm daraufhin ein „besonderes Gespür fürs Zeitgenössische“. Und dafür gibt es nun mal keine Routinen, keine Selbstverständlichkeiten, kein „Mal eben so“: Es braucht einen authentischen Künstler, der sich diesen Partituren hingibt, in sie eintaucht bis an die Grenzen des physisch und psychisch Möglichen. Und das hat Simon Höfele auf seinem neuen Album „Nobody Knows“ mit der Kombination dreier Werke von Christian Jost, Toshio Hosokawa und Bernd Alois Zimmermann sehr wörtlich genommen: „Für mich sind diese drei Werke wahnsinnig wichtig. Alle drei habe ich vorher schon gespielt und war immer fasziniert von ihrer Dunkelheit. Es ist sehr schwere, fast depressive Musik, und das in doppelter Hinsicht: Einerseits sind sie von der Stimmung her heftig, andererseits aber auch nicht leicht zu spielen.“ Dafür steht der Vollblutmusiker, der mittlerweile selbst am Royal Birmingham Conservatoire unterrichtet, hier das BBC Symphony Orchestra unter Geoffrey Paterson bzw. Ilan Volkov zur Seite. Als CD-Opener fungiert das rund 25-minütige Trompetenkonzert „Pietà (In Memoriam Chet Baker)“ von Christian Jost aus dem Jahre 2004, das (als selbstständiges Werk) auch den Anfang von dessen Requiem-Trilogie und darin den „intimsten Teil des Zyklus“, so der Komponist, bildet. Dabei handelt essich explizit nicht um ein Jazzstück, auch „wenn sich die Trompete mit Baker’scher Wandlungsfähigkeit und Eleganz immer wieder auf jazziges Terrain begibt. Bakers schmerzvolle Biografie und sein Einzelschicksal spiegeln sich hier in einem lyrischen Adagio wider.“ Für Höfele schlägt das Werk mit seinen großen Phrasen die Brücke zum folgenden Hosokawa-Track: „In ‚Pietà‘ hat man unglaublich viel zu verarbeiten, gleichzeitig ist es wunderschön – ich finde, es hat eines der schönsten Enden überhaupt. Die Melodie erinnert an den Broadway-Klassiker ‚My funny Valentine‘ … Und ja, es wird auch gestorben, da gibt es kein Happy End.“ Toshio Hosokawas „Im Nebel“, 2014 mit dem Otaka Award ausgezeichnet, ist durch das gleichnamige Hermann-Hesse-Gedicht inspiriert und für Höfele „von der allerersten Sekunde an fast ein First-Person-Videogame: Man steht mitten im Nebel mit der Taschenlampe und weiß nicht, was als Nächstes passiert. Wie groß ist dieser Nebel? Wo bin ich gerade, hört das irgendwann wieder auf? Man fühlt sich wahnsinnig klein.“ Hosokawa selbst beschreibt sein dreiteiliges Werk folgendermaßen: „Der Trompeter durchstreift einsam die blinde, unermessliche Natur; während er sein Lied singt, bewahrt er die Erinnerungen an die ruhmreiche Vergangenheit und an die Gewalt des Sturms. Das Orchester zeichnet weiche Linien, ähnlich denen östlicher Kalligrafie. Die Solotrompete verschmilzt mit der Sphäre des Geheimnisvollen; sie stellt sich der Welt und versöhnt sich zugleich mit ihr.“ Das dritte und titelgebende Werk der CD-Novität bildet Bernd Alois Zimmermanns „Nobody Knows de Trouble I See“ – für Höfele „das beste Konzert, das wir als Trompeter*innen haben“. Zumal es auch eine klare politische Botschaft transportiert: „Die Grundidee dahinter ist es, dem Leiden der Schwarzen Bevölkerung Amerikas Ausdruck zu verleihen, der Trauer, der Anklage, die mit der Versklavung, Ausbeutung und Ermordung so vieler Menschen verbunden ist.“ Bei diesem 1955 uraufgeführten Werk hat der Kölner Komponist drei Formstrukturen in einzigartiger Weise kombiniert: neben dem Spiritual in Gestalt eines modernen Cantus firmus eine Zwölftonreihe sowie Elemente des Jazz. „Wir wissen nicht, wie ‚woke‘ Zimmermann im heutigen Sinne war“, sagt Höfele, „aber er hat mit diesem Stück nicht nur den Zahn seiner Zeit getroffen, sondern ja auch den der unsrigen heute.“ Es ist ein musikalischer Kosmos von Tragik, Verlorensein und Klage, dem Simon Höfele in seiner unmittelbaren Relevanz für unsere Zeit auf der neuen CD eine (Trompeten-)Stimme gibt. Eintauchen lohnt sich!
Trackliste - Diese Titel hören Sie auf dem Album
Nobody Knows
Simon Höfele & BBC Symphony Orchestra
1
Part 1
2
Part 2
3
Part 3
4
Part 4
5
Part 1
6
Part 2
7
Part 3
8
Part 1
9
Part 2
10
Part 3