Nach ihrer letzten, hochgelobten Veröffentlichung aller Chopin-Nocturnes widmet sich die chinesisch-US-amerikanische Pianistin Claire Huangci dem nächsten Klaviergiganten am anderen Ende der Romantik: Sergei Rachmaninoff und seinen 24 Préludes.
Sie habe sich in den letzten Jahren vermehrt zu gesamten Werkzyklen hingezogen gefühlt, so Claire Huangci, „um die längeren Bögen im Leben eines Komponisten besser zu verstehen.“ Bei Rachmaninoff und seinen 24 Préludes aus insgesamt drei Opus ist dies besonders interessant, da sie innerhalb von 18 Jahren entstanden sind. Im Jahr 1892 legte Rachmaninoff den Grundstein mit dem Prélude in cis-Moll op. 3 Nr. 2, welches sich schnell zu einem seiner bekanntesten Werke entwickelte. Der stetige Zugabewunsch des Publikums veranlasste den Komponisten 1921 zur Aussage „Andere Préludes gefallen mir wesentlich besser.“ Verständlich, wenn man bedenkt, dass das Prélude unentwegt mit außermusikalischen „Programmen“ assoziiert wurde. „Wenn wir die Psychologie des Préludes erkennen sollen, lassen Sie es so verstehen, dass es seine Funktion nicht ist, eine Stimmung auszudrücken, sondern sie herbeizuführen.“
Übertragen auf die Gesamtheit der Rachmaninoff’schen Préludes verdeutlicht diese Aussage, welche Gefühlsvielfalt Rachmaninoff zu umfassen versuchte. Die 10 Préludes op. 23 von 1903 und die 13 Préludes op. 32 von 1910 komplettieren das doppelte Dutzend und machen die kompositorische Entwicklung des Russen deutlich: „Man kann den Übergang hören. Rachmaninoffs Musik wurde komplexer, kontrapunktischer; sie wurde harmonisch interessanter und aufregender.“ (Pianist Alexis Weissenberg)
Claire Huangci, „das damalige Wunderkind“, die zuletzt den Concours Géza Anda, einen der härtesten Klavier-Wettbewerbe, gewann, „ist zu einer reifen Künstlerin herangewachsen“, so die Begründung der Jury. Mit noch nicht einmal 30 Jahren hat sie sich als nachgefragte und von China bis in den USA konzertierende Pianistin etabliert. Dass sie sich nun diesem Höhepunkt spätromantischer Klavierliteratur widmet, verdeutlicht ihren konsequenten Selbstanspruch hinsichtlich pianistischer Leistung aber auch interpretatorischer Reife. Denn auch wenn einzelne Préludes die „herausforderndsten Etüden von Chopin und Liszt noch mit einer teuflischen Drehung“ versehen, sind es für Claire Huangci keine bloßen technischen Übungsstücke, keine Zurschaustellung pianistischer Fähigkeiten, sondern der Kern von Rachmaninoffs Charakter: „eine Symbiose aus bescheidener Reinheit und filigranster Virtuosität.“