Der romantische Norden
Nach zwei Kammermusik-Programmen hat die Norwegerin Ragnhild Hemsing für ihr drittes Album mit dem Label Berlin Classics eines der wichtigsten Orchester ihres Landes gewinnen können: Das Bergen Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Eivind Aadland. „Dieses exzellente Orchester ist mir schon seit vielen Jahren sehr ans Herz gewachsen. Ich war 14 Jahre alt, als ich zum ersten Mal mit ihnen aufgetreten bin. Damals mit dem Violinkonzert von Mendelssohn. Ich war fürchterlich aufgeregt und ich werde es nie vergessen“, erinnert sich die heute 35jährige Violinistin. Seither hat sie schon viele Konzerte mit dem Orchester gespielt und konnte so ihre Bekanntheit in ihrem Heimatland und auch in der internationalen Musikwelt vergrößern.
Inzwischen gilt Ragnhild Hemsing als Kulturbotschafterin Norwegens. Sie spielt nicht nur Violine, sondern auch die traditionelle Hardangerfiedel. Ihr Können, diese Instrumente zu spielen und miteinander zu kombinieren, stellte sie schon eindrucksvoll auf ihren beiden Vorgänger-Alben unter Beweis. Es ist die Verbindung aus Moderne und Tradition, die ihr am Herzen liegt. Die Ursprünge der norwegischen Kulturgeschichte faszinieren sie, was sie erneut auf ihrem aktuellen Album zum Thema macht. Das Album ist mit BRUCH+TVEITT betitelt, beinhaltet aber zwei weitere interessante, weniger bekannte Komponisten. Die Romanze für Violine und Orchester des Norwegers Johann Svendsen (1840-1911) feierte schon zu seinen Lebzeiten große Erfolge. Sogar der berühmte Geiger Eugène Ysaÿe spielte das Stück voller Bewunderung und verbreitete es in Europa. Außerdem hat Ragnhild Hemsing das Konzertstück „Huldra aa’n Elland“ für Violine und Orchester von Sigurd Lie (1871-1904) ausgesucht. Dieser Komponist ist außerhalb Norwegens kaum bekannt, obwohl er auch in Leipzig und Berlin studierte und in seiner Heimat sogar als „der neue Grieg“ gehandelt wurde. Lie starb bereits im Alter von 33 Jahren an Tuberkulose und so blieb ihm eine größere Bekanntheit verwehrt. Bei seinem hier eingespielten Werk blitzt die norwegische Geschichte schon im Titel auf. Den Begriff Huldra erklärt Ragnhild Hemsing mit einem geheimnisvollen Lächeln: „In der norwegischen Volkstradition ist eine Huldra ein überirdisches, weibliches Wesen. Manche beschreiben sie als junges Mädchen mit wallendem blondem Haar und einem Kuhschwanz.“ Das Stück wurde von der Erzählung „Dølaviser“ („Lieder der Talbewohner“) von Edward Storm inspiriert und erzählt die Geschichte von der Begegnung des jungen Elland mit einer Huldra. Diese Musik ist unverkennbar norwegisch.
Der Komponist Max Bruch (1838-1920) ist der einzige Komponist dieses Albums, der nicht aus Norwegen stammt. Seine Musik ist der romantischen, europäischen Tradition zuzuordnen und fügt sich bestens in das Konzept des Albums ein. Das Konzert Nr. 1 in g-Moll für Violine und Orchester war von Anfang unglaublich populär und stellte viele andere Kompositionen in den Schatten. „Für mich war es interessant, Bruch und Tveitt zusammenzubringen und zu kombinieren“, erklärt Ragnhild Hemsing. „Mit diesem Album zeige ich die historische Linie zwischen Max Bruch auf der einen und Geirr Tveitt auf der anderen Seite. Die anderen Komponisten fügen sich wunderbar dazwischen ein.“
Typisch norwegisch ist das Konzert Nr. 2 für Hardangerfidel und Orchester von Geirr Tweitt (1908-1981). Es trägt den Titel „3 Fjorde“ und beschreibt in poetischer Art und Weise in den drei Sätzen den Hardangerfjord, den Sognefjord und den Nordfjord. Auch Tveitt studierte – wie übrigens alle Komponisten dieser Aufnahme – für einige Zeit in Leipzig.
„Obwohl die vier Werke, die ich ausgewählt habe, so unterschiedliche Charaktere und Hintergründe haben, gibt es doch einige gemeinsame Nenner, und die Kombination aller Stücke passt gut zusammen. Für mich ist es auch interessant und spannend mich in diesem Repertoire als klassische Musikerin und Volksmusikerin auf der Hardangerfiedel zu präsentieren“, schließt Ragnhild Hemsing.