Johann Georg Pisendel (1687-1755) beeindruckte schon zu Lebzeiten durch sein hochvirtuoses Geigenspiel und noch heute gilt sein Wirken als Meilenstein der Orchesterpraxis. Auch wenn sein kompositorisches Erbe nicht gerade umfangreich ist, konnte er vor allem als Hofkapellmeister der Dresdner Hofkapelle Maßstäbe in der Barockzeit setzen. Mit seinem Namen kreuzen sich die Lebenswege fast aller großen Namen des Barock. Ihn verbanden Freundschaften mit Bach, Vivaldi, Graupner und Telemann. Er wurde von Torelli und Heinichen ausgebildet und brachte zusammen mit Hasse den „Dresdner Barock“ zur europaweiten Blüte. Er selbst sah sich nie als großen Komponisten, sondern viel mehr als einen Interpretationsspezialisten, der durch die Orchestererziehung und durch sein feines Gespür für musikalische Stilrichtungen der heutigen modernen Orchesterarbeit entscheidende Impulse geben konnte.
Kein Wunder also, dass natürlich auch die heutigen Barock-Spezialist:innen des Ensembles Concerto Köln Pisendel als Vorbild sehen. Die Barockgeigerin Mayumi Hirasaki übernimmt seit nunmehr zehn Jahren immer wieder die leitende Konzertmeister-Rolle bei Concerto Köln. In ihrem historischen Vorbild Pisendel als Leiter der Dresdner Hofkapelle sieht sie einen „Vollkommenen Concertmeister“ (Eine Anspielung auf die Schrift von Johann Mattheson aus dem Jahr 1739). Das soll diese CD zum Ausdruck bringen: „Es sollte ein Programm sein, das nicht nur mich als Geigerin in den Fokus stellt, sondern die Virtuosität des ganzen Orchesters ausbreitet. Und was wäre da besser geeignet, als Pisendels Musik für diese barocke Dresdner All-Star-Band mit all ihrer stilistischen Wandlungsfähigkeit?“
Die Aufnahme startet mit einer Fanfare aus unbekannter Herkunft. „Die Zuhörenden sollen von Anfang an unsere Feststimmung spüren!“ erläutert Mayumi Hirasaki diese Entscheidung. Gleich darauf folgt das Concerto D-Dur mit einer prächtigen Bläserbesetzung und zusätzlicher Pauke.
In der darauf folgenden Sonate c-Moll erahnt man die Nähe und Freundschaft zu Johann Sebastian Bach und seinem Sohn Wilhelm Friedemann. „Hier zeigt Pisendel, dass er wie seine Kollegen Heinichen und Jan Dismas Zelenka im kontrapunktischen Stil der Dresdner Kirchenmusik komponieren konnte“ erläutert Mayumi Hirasaki im beigefügten Booklet der Aufnahme.
Im Jahr 1716 traf Pisendel den Komponisten Antonio Vivaldi in Venedig. Deswegen erinnert Pisendels Melodiegestaltung des Concerto B-Dur stark an das große italienische Vorbild. Konzertmeisterin Hirasaki besetzt dieses Stück lediglich sehr kammermusikalisch „Solche Entscheidungen musste auch Pisendel als Konzertmeister immer wieder treffen. Hier führt er die Tutti-Violinen durchgehend unisono, andererseits ist die Bratschenstimme sehr raffiniert angelegt.“
An das französische Stück „Imitation des Caracteres de la Danse“ haben sich die Musikerinnen und Musiker von Concerto Köln auf sehr besondere Art herangetastet: Sie besuchten zunächst gemeinsam einen Kurs für Barocktanz. „Man spielt diese Musik noch einmal anders, wenn man die verschiedenen Tanzcharaktere auch körperlich nachempfinden kann“ erläutert Hirasaki. „Darüber hinaus haben wir hier die Bogenhaltung im Untergriff angewendet, wie sie damals in Frankreich üblich war“
Es folgt das Concerto in Es-Dur in dessen Notenmaterial zur Freude der Musizierenden sehr viele handschriftliche Hinweise von Pisendel selbst zu finden waren, sowie die Sinfonia B-Dur – wieder mit prachtvollen Bläsern besetzt. Das Album endet mit der Sonata D-Dur, die unverkennbar den Kreis zur Eröffnung des Albums schließt.
Mayumi Hirasaki und Concerto Köln ist mit dieser Aufnahe eine versiert-virtuose Auswahl der charakterlichen Größe von Pisendels Musik gelungen.