Eine Liga der außergewöhnlichen Virtuosen in Köthen
Es waren nur sechs Jahre, die Johann Sebastian Bach als Hofkapellmeister in der Stadt Köthen unter Fürst Leopold tätig war. Aber diese Zeit von 1717 bis 1723 gilt als seine kreativste Zeit. Es entstanden große Zyklen, die berühmten Brandenburgischen Konzerte, Kammermusik und etliche Konzerte. Die Bedingungen waren mehr als ideal für Bach. Nur fünf Jahre zuvor starb der Preußische König Friedrich der I. in Berlin. Seine damalige Hofkapelle wurde nach der üblichen Trauerzeit aufgelöst und viele Musiker suchten eine neue Arbeit. Darunter auch der hochbegabte Komponist und Vorgänger Bachs in Köthen, Augustin Reinhard Stricker (ca. 1675–1719), der Geiger Joseph Spieß (?–1730), sowie der ehemalige Konzertmeister der Berliner Hofkapelle, Johann Georg Linike (ca. 1680–1762). Sie alle wollten nach Köthen, um in der Hofkapelle des, damals schon berühmten Johann Sebastian Bach zu spielen. Somit entstand in Köthen ein Kollektiv an außergewöhnlichen Virtuosen, die sich gegenseitig in ihrem Spiel überboten und die Kunst des Komponierens um viele Schritte erweiterten. Es wurde sehr viel experimentiert, viel Können vorausgesetzt und vor allem die Freude an der Improvisation gefördert.
Im Jahr 2016 übernahm der Kulturmanager Folkert Uhde die Köthener Bachfesttage. Im selben Jahr formierte sich unter der Leitung der Barockgeigerin Midori Seiler das Pendant zur damaligen Hofkapelle: Das Köthener BachCollektiv. In dieser „Supergroup“ der Alten Musik-Szene treffen sich alle zwei Jahre 18 Musikerinnen und Musiker aus 12 Nationen in Köthen, um gemeinsam zu arbeiten und auf Bachs Spuren zu wandeln. In diesem Residenz-Ensemble spielen Preisträgerinnen und Preisträger internationaler Wettbewerbe, Professorinnen und Professoren renommierter Musikhochschulen, international bekannte Solistinnen und Solisten und herausragende Studierende.
Im Jahr 2022 entstand im Anschluss an das Festival in Köthen die Aufnahme dieses Albums. Nach vielen Nachforschungen hat Midori Seiler ein Programm zusammengestellt, das einen anschaulichen Blick auf das Können der Virtuosen rund um Bach vor 300 Jahren erlaubt. Gemeinsam haben sie Werke von Bach, Linike, Spieß und Stricker aufgenommen. Einige Werke mussten umgeschrieben, bzw. transkribiert werden, denn nicht alles ist bis heute erhalten. „Im Fokus meiner Bearbeitungen standen spezifisch geigerische Eigenheiten, welche denen des Cembalospiels oft entgegenstehen, und der größtmögliche musikalische Reichtum, der den erhaltenen Versionen für Cembalo zu eigen ist“, erklärt Midori Seiler im Booklet des Albums und fügt in ihrer bescheidenen Art hinzu: „Bei aller Anmaßung, einen Meister wie Bach zu transkribieren, war es doch eine gängige Praxis der Barockzeit, Wertschätzung durch ebendiese Weise zum Ausdruck zu bringen.“
Heute, fast genau 300 Jahre später, wissen wir viel, aber natürlich nicht alles über diese Zeit. Durch einige Aufzeichnungen wissen wir z. B. auch von den Freundschaften und der Verbundenheit zwischen den Musikern. Dank der Akribie, mit der Bach seine Noten aufschrieb, können heutige Musikerinnen und Musiker, sowie die Wissenschaft vieles nachvollziehen und heute noch umsetzen. Aber schon die oben erwähnten Kollegen von Bach nahmen es nicht mehr ganz so genau und fordern von den nachfolgenden Interpretinnen und Interpreten viel Fantasie, Mut zur Improvisation und musikalische Begabung. „All dies (und noch vieles mehr) ist in unserem Ensemble in hohem Maß vorhanden. Auch wenn es wieder nur einige Schritte der Annäherung gewesen sein mögen: Es war eine Offenbarung, wie durch genau diesen Zugang der Geist der Werke sich uns nach und nach entfaltete“, beschreibt Midori Seiler diese Arbeit.